Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat am 26.03.2020 im Verfahren C-66/19  entschieden, dass der Verweis auf die  Vorschrift des § 492 Abs. 2 BGB für den Beginn der Widerrufsfrist nicht ausreichend ist, um die Informationspflichten nach Art. 10 Abs. 2 p) RL 2008/48/EG zu erfüllen. In den bei Verbraucherdarlehensverträgen verwendeten Widerrufsinformationen ist es daher für das Anlaufen der 14-tägigen Widerrufsfrist nicht ausreichend, wenn bezüglich der Pflichtangaben nur auf § 492 Abs. 2. BGB verwiesen wird. Nach der Rechtsprechung des EuGHs ist ein Verbraucher in klarer und prägnanter Form über die Frist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts zu informieren.  Eine bloße Verweisung in der Widerrufsinformation auf Rechtsvorschriften, die die Rechte und Pflichten der Parteien festlegen, reicht nicht aus.

Was bedeutet dies in der konkreten Rechtsanwendung des „Widerrufsjokers?

a) allgemeine Verbraucherdarlehensverträge

Der BGH hatte in seinem Urteil vom 22.11.2016 – XI ZR 434/15 entschieden, dass mit dem Hinweis auf § 492 Abs. 2 BGB ein Verbraucher in klarer und verständlicher Form über den Beginn der Widerrufsfrist informiert wird. Diese Rechtsprechung wurde nun vom EuGH gekippt. Die Instanzgerichte dürfen die entgegenstehende Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 2016 nun nicht mehr anwenden.

Enthält also Ihr Verbraucherdarlehensvertrag eine Widerrufsbelehrung/-information mit der Formulierung, dass die Widerrufsfrist “nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hat” zu laufen beginnt, können Sie

  • einen noch laufenden allgemeinen Verbraucherdarlehensvertrag, mit dem z.B. ein Autokauf finanziert wird, widerrufen, wenn der Verbraucherdarlehensvertrag vom Autoverkäufer vermittelt wurde (verbundenes Geschäft). Interessant ist dies vor allem für Besitzer von Dieselfahrzeugen.
  • sich aus einem Verbraucherdarlehensvertrag mit hohen Zinsen lösen und so die Zahlung einer  Vorfälligkeitsentschädigung vermeiden
  • eine bereits gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung von der Bank zurückfordern.

 

b) Immobilienverbraucherverträge

Möglicherweise können nun auch Immobilienverbraucherverträge, die in der Zeit vom 10.06.2010 bis zum 20. März 2016 abgeschlossen wurden, noch heute widerrufen werden. Hier liegt das rechtliche Problem darin, dass der BGH im Beschluss vom 09.04.2019 – XI ZR 545/18 eine Anwendung der Richtlinie RL 2008/48/EG auf die grundpfandrechtlich gesicherten Verträge abgelehnt hat. Ob der BGH wegen der jetzigen Entscheidung des EuGHs von dieser Auffassung abrücken wird, bleibt abzuwarten

Bevor Sie jedoch einen Widerruf erklären, empfehle ich dringendst, sich zuvor von einem erfahrenen Rechtsanwalt über die mit dem Widerruf verbundenen Rechtsfolgen konkret beraten zu lassen.

 

Rechtsanwalt Lenuzza
Fachanwalt für Arbeitsrecht und für Bau- und Architektenrecht